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> Grundschullehrer in Hessen schlagen Alarm: Was sie fordern
15.12.2025, 15:36 Uhr
Sie wollen kleinere Klassen -
Grundschullehrer in Hessen schlagen Alarm
© Sven Hoppe/dpa
Stifte richtig halten, zuhören, schneiden: Einst meist selbstverständlich in Grundschulen - heute nicht mehr, kritisiert die Bildungsgewerkschaft GEW (Symbolbild).
Fast 1.100 Grundschullehrerinnen und -lehrer aus Südhessen haben unterschrieben: Die Bildungsgewerkschaft GEW hat dem hessischen Kultusministerium eine Resolution für bessere Arbeitsbedingungen übergeben. Die Initiatorinnen aus Darmstadt und dem Kreis Darmstadt-Dieburg kritisieren darin Kürzungen im Landeshaushalt, wie die Gewerkschaft mitteilte.
Außerdem fordern sie "ein anderes Problembewusstsein und mehr Unterstützung" vom Ministerium.
Viele Unterschriften aus Südhessen
Ein Sprecher des Kultusministeriums in Wiesbaden trat nach eigenen Angaben ins Freie und nahm die mehrseitige Resolution entgegen, samt mehr als 40 Seiten mit Unterschriften vor allem aus Südhessen, aber auch aus anderen Landesteilen.
Grundschullehrerinnen: "So wie im Moment die Bedingungen sind, machen sie uns krank!"
Unser FFH-Reporter hat mit Grundschullehrerinnen aus Darmstadt und dem Kreis Darmstadt-Dieburg über ihren Berufsalltag gesprochen
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Definitiv kann ich nicht guten Gewissens empfehlen, Grundschullehrkraft zu werden und das ist hart. Ich liebe meinen Beruf, ich bin schon alt und ich mache ihn immer noch mit Freude. Und dennoch sage ich, so wie im Moment die Bedingungen sind, machen sie uns krank. Sie führen zum Burnout oder dazu, dass Menschen auf Gehalt verzichten, damit sie es überhaupt irgendwie bewältigen. Wir müssen jeden Tag mit dem Frust umgehen, das wir nicht alle erreichen. Das ist kein Zustand. Ich beobachte seit Jahren, dass auch junge Lehrkräfte, die noch keine Familie, noch keine Kinder, noch keinen großen Stress außerhalb der Schule haben, nach einer Woche nach den Ferien schon wieder am Rand sind. Das nimmt zu und das ist, Entschuldigung, wirklich dumm, wenn man darauf nicht reagiert. Die haben eine Fürsorgepflicht uns gegenüber und die Arbeitsbedingungen müssen so sein, dass das, was wir alle wollen, auch umgesetzt werden kann. In meinem Bekanntenkreis kenne ich zwei Kolleginnen, die den Job an den Nagel gehälten. Sie haben ihre Kinder gesenkt, die ihr Beamtentum aufgegeben haben, weil sie es nicht mehr geschafft haben. Und es gibt auch, glaube ich, viele Lehramtsabbrecher im Grundschulbereich oder dann auch Menschen, die das Referendariat abbrechen. Und da müssen sich die Bedingungen an Schulen eben grundlegend ändern, damit das wieder attraktiver wird. Und natürlich, damit es auch für Kinder wieder besser wird. Nach sechs Stunden Unterricht dröhnt der Kopf, wenn ich alleine durchs Treppenhaus gehe. Und hundert schreiende Kinder da durchgehen. Dann stresst mich das. Und diese Anspannung über sechs Stunden am Stück aufrecht zu erhalten, stresst. Und ich gehe wirklich müde und erschöpft aus dem Schulvormittag raus. Auch Eltern, die uns bei Unterrichtsgängen oder Ausflügen begleiten, da hatte ich auch schon Beispiele, die waren danach alle in was schlecht. Und das muss man sich einfach immer vor Augen halten. Ein aktuelles Beispiel ist gerade beim Weißen. Weihnachtsbacken beim Plätzchenbacken. Das sind Eltern, die uns unterstützen. Und am Ende des Backvormittags kommt von den Eltern eine Rückmeldung. Oh Mann, ihren Job möchte ich nicht machen. Es geht darum, wirklich mal hinzugucken, wie passt das System denn überhaupt noch? Und das passt in vielen Teilen nicht mehr.
Resolution: Stifte halten nicht mehr selbstverständlich
In der Resolution heißt es laut GEW, Zuhören, Stifte halten können, Schneiden und Kleben seien bei Grundschülern nicht mehr selbstverständlich. Sprachdefizite und Angststörungen nähmen zu. Die Bedürfnisse der Schulkinder würden immer größer.
Kultusminister: "Wir investieren massiv in zusätzliche Schulpsychologen-Stellen"
Kultusminister Armin Schwarz (CDU) im FFH-Interview über die Situation an Hessen Grundschulen
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Wir haben schlicht und ergreifend die Situation, wenn Eltern nicht aufpassen, dass dort ein Kind zu lange am Handy tätig ist, dass es tatsächlich zu Schwierigkeiten kommt, zu Konzentrationsstörungen, zu Leistungsdefiziten. Und all das kommt in die Schulen hinein. Und ich stelle immer wieder fest, die Kinder, die haben Defizite unter anderem auch im Sprachverständnis. Und deswegen investieren wir ganz, ganz viel in den Deutschunterricht. Wir investieren massiv in zusätzliche Schulpsychologenstellen. Allein in den letzten fünf Jahren hat die Stellenzahl um 35 Prozent zugenommen. Wir haben ein Allzeithoch im Bereich der Sozialpädagogen. Hier setzen wir auf wirklich multiprofessionelle Teams, sodass die Kolleginnen und Kollegen an den Grundschulen die notwendige Unterstützung bekommen. Wir entlasten Lehrkräfte beispielsweise dadurch, dass weniger Berichte geschrieben werden. Wir wollen bei den Förderplänen rangehen, sodass die pädagogische Arbeit wirklich im Vordergrund steht. Wir haben in den letzten Jahren kontinuierlich die Stellen nach oben gefahren, sodass wir jetzt das auch entsprechend an den Klassengrößen, vergleichsweise kleinen Klassengrößen messen können. Hier sind wir auch bundesweit ziemlich gut. Da stehen wir ganz weit oben. Und insofern, das ist ein kontinuierlicher Weg.
GEW: Belastungsgrenze erreicht
Die stellvertretende GEW-Landesvorsitzende Heike Ackermann erklärte, viele Lehrkräfte an Grundschulen seien an ihrer Belastungsgrenze angelangt. "Seit Jahren fordern wir kleinere Klassen, mehr multiprofessionelle Teams und mehr Zeit für die pädagogische Arbeit."
Hohe Anforderungen an Grundschulen
Grundschule sollen laut Ackermann immer mehr leisten: "Demokratieerziehung, Digitalisierung, Integration und Inklusion sind nur zu stemmen, wenn die Bedingungen daran angepasst werden."
© dpa
In einer Grundschule arbeitet ein Schüler einer vierten Klasse an seinen Mathematikaufgaben (Symbolfoto).
GEW: Ganztag sorgt für weitere Herausforderungen
Im nächsten Schuljahr 2026/2027 tritt zudem die erste Stufe des Rechtsanspruchs auf eine ganztägige Förderung von Kindern im Grundschulalter in Kraft. Dann werden sich der GEW zufolge die Herausforderungen noch verschärfen.
Ministerium: Mehr Deutschförderung
Der Ministeriumssprecher sagte, die Resolution werde noch intern bewertet. Generell seien die Herausforderungen für Lehrkräfte wesentlich vielfältiger geworden. "Wir begegnen dem in Hessen unter anderem schon ein Jahr vor der Einschulung mit einer verpflichtenden Deutschförderung für Kinder mit Sprachdefiziten, dazu gibt es in der zweiten Klasse eine Stunde mehr Deutsch", ergänzte der Sprecher.
Grüne: "Ein freies Budget würde sofort Entlastungen an den Schulen bringen"
Der bildungspolitische Sprecher der Grünen-Opposition im hessischen Landtag, Daniel May, im FFH-Gespräch über mögliche Verbesserungen an den Grundschulen
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Es ist wichtig, dass wir ausreichend Lehrerinnen und Lehrer an der Schule haben, aber wir brauchen eben nicht nur Lehrkräfte, sondern wir brauchen auch Sozialarbeiterinnen, wir brauchen auch Schulgesundheitsfachkräfte. Aber seitdem Herr Schwarz Minister ist, hat es leider keine zusätzliche Schulgesundheitsfachkraft gegeben und auch keine zusätzliche Schulsozialarbeit aus Landesmitteln und da müssen wir wieder besser werden. Es ist eine ganze Kette von Ereignissen, die jetzt passiert sind. Wir hatten den Brandbrief aus Südhessen, wir hatten die Überlastungsanzeige unter anderem von 44 Grundschulen aus dem Bereich Wiesbaden, aber eben auch noch weitere Überlastungsanzeigen. Und wir haben eine Vergleichsstudie, den IQB Bildungstrend, da hat Hessen ganz schlecht abgeschnitten und das alles zeigt die Bildung, bei der brennt es in Hessen und hier muss was passieren. Wir haben mindestens 1.100 Stellen, die überhaupt nicht besetzt sind. Wir haben fast 8.000 Stellen, die mit Personen besetzt sind. Die keine Lehrerinnen, die kein Lehrer sind. Das alles ist natürlich unglaublich viel Druck auf die Lehrerinnen und Lehrer, die da sind, denn die müssen im Prinzip für diese fast 10.000 Lehrer, die nicht da sind, die Arbeit mitmachen. Die Lehrerinnen und Lehrer sind unglaublich unter Druck, die Anforderungen, die an sie gestellt werden, die werden immer größer und das reibt sie auf. Das hatten wir während der Corona-Zeit schon gemacht, dass die ein freies Budget hatten, mit denen sie sich an außerschulische Lernorte wenden können, wo sie auch Honorarkräfte mit einstellen können. Wo sie andere Professionen an die Schule bringen können und das hat damals sehr gut geholfen und dieses freie Budget wollen wir wieder haben. Das würde sofort Entlastungen bringen dort an den Schulen.
Darauf setzt das Land
Das Land setze in Schulen auf mehr Wertebildung, multiprofessionelle Teams und den Einsatz von Sozialpädagogen. Die schulpsychologische Unterstützung sei gerade weiter ausgebaut worden. "Aber auch die Elternhäuser sind bei der Erziehung gefordert und müssen mit an einem Strang ziehen", betonte der Sprecher.