Das sind die Gründe und Folgen - Fahrerflucht nach jedem dritten Unfall
Rund 44.700 Fälle von Fahrerflucht gab es im vergangenen Jahr in Hessen. Was steckt hinter der Entscheidung, nach einem Unfall einfach wegzufahren – und welche Folgen drohen den Verursachern?
Zwei 23-jährige Zwillingsbrüder sterben bei einem E-Scooter-Unfall in Frankfurt im Juli, ein 27-Jähriger wird schwer verletzt. Der unter Lachgas-Einfluss stehende Fahrer flüchtet zunächst vom Unfallort, wird aber später gefasst und verhaftet. In Rüsselsheim flüchtet Anfang November ein Autofahrer nach einem Unfall mit vier Verletzten. Er lässt auch seinen verletzten Beifahrer zurück. Das sind nur zwei Beispiele der zahlreichen Fälle von Unfallflucht in Hessen.
Durchschnittlich 122 Fälle pro Tag
- 44.659 Fälle von Unfallflucht im vergangenen Jahr
- Rund 122 Fälle im Schnitt pro Tag
- Vier Menschen wurden dabei tödlich, 166 schwer und 2.126 leicht verletzt
- 40 Prozent der Taten wurden aufgeklärt
- Gut 30 Prozent aller Unfälle in Hessen enden mit Unfallflucht
Quelle: Hessisches Innenministerium
Innenminister: "Kein Kavaliersdelikt"
"Unfallflucht ist eine Straftat und kein Kavaliersdelikt", betont Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU). "Wer sich nach einem Unfall einfach vom Ort des Geschehens entfernt, entzieht sich nicht nur seiner rechtlichen Verantwortung, sondern lässt Verletzte bewusst im Stich."
Dieses Verhalten sei höchst unsozial, beschädige das Vertrauen in die Verlässlichkeit des Straßenverkehrs und untergrabe die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates. Die Zahlen belegten, dass Unfallflucht nicht bagatellisiert werden dürfe. "Es handelt sich dabei um eine Straftat, die konsequent verfolgt werden muss."
Diese Strafen drohen
Wer sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, dem drohen laut dem ADAC Hessen-Thüringen Geldbußen oder der Entzug des Führerscheins bis hin zu Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren. "Zudem erlischt in der Regel der Versicherungsschutz", erläutert Sprecher Oliver Reidegeld. Zwar reguliere die eigene Haftpflicht den Schaden, hole sich das Geld aber später vom Verursacher zurück.
"Außerdem muss der Unfallflüchtige für seinen Schaden selbst aufkommen." Denn die Kasko-Versicherung streiche meistens die Leistung komplett. "Das darf die Versicherung oft auch dann, wenn das Verfahren wegen geringer Schuld gegen Geldauflage eingestellt wird."
Die Haftung sei übrigens unabhängig von der Art der Verkehrsbeteiligung, betont Reidegeld. Die genannten Regelungen gelten ebenso für Fußgänger, Radfahrer und weitere Fortbewegungsarten. "Wer keine Haftpflichtversicherung hat, muss die verursachten Kosten selbst tragen."
Was sind die Gründe für Fahrerflucht?
Warum begehen Menschen dennoch Fahrerflucht? Ein Grund sei oftmals der evolutionäre Mechanismus, sich bei Gefahr erst einmal in Sicherheit zu bringen, sagt der Frankfurter Verkehrspsychologe Patrick Grieser. Er betreut Menschen, denen der Führerschein entzogen wurde, und die zur Wiedererlangung eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) bestehen müssen.
“Eine Art Tunnelblick”
"Aus Angst vor den Konsequenzen, die da auf mich zukommen, muss ich mich der Situation entziehen", erläutert Grieser. "Es kommt zu einem Schockmoment und einer Art Tunnelblick." Der erste Gedanke sei, sich schnellstmöglich aus der Gefahrenzone zu entfernen und erst einmal einen klaren Kopf zu bekommen. Auch die Hoffnung, möglicherweise mit einem blauen Auge davonzukommen, könne eine Rolle spielen. "Je mehr Zeit vergeht, in der man nichts von der Polizei hört, manifestieren sich dann auch Gedanken wie: "Na ja, vielleicht habe ich ja noch mal Glück gehabt"."
Verdeckung weiterer Straftaten
Ein weiterer häufiger Grund für eine Unfallflucht sei das Verdecken von weiteren Straftaten. "Die Täter stehen oft unter Alkohol- oder Drogeneinfluss. Sie wissen genau, wenn sie jetzt die Polizei verständigen oder am Unfallort bleiben, fällt es auf, dass sie getrunken beziehungsweise Drogen konsumiert haben", erklärt Grieser. Später würden sie nicht selten Planspiele machen. "Sie sagen sich: "Ich warte erst mal die Nacht ab, bis ich wieder nüchtern bin. Dann stelle ich mich"." Erfahrungsgemäß sei es allerdings leider oft so, dass sie sich nicht stellten.
Ein schlechtes Gewissen spiele schon auch eine Rolle. "Ich glaube aber, der potenzielle Verlust der Fahrerlaubnis mit all seinen Folgen ist für sie einschneidender."
Bewusstsein für Folgen wecken
In seiner Praxis versuche er, gezielt an den Einstellungen der Täter zu arbeiten und bei ihnen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass jedes Verhalten nicht nur kurzfristige, sondern auch langfristige Konsequenzen hat, sagt Grieser. "Also kurzfristig bei einer Unfallflucht: Ja, ich bin in Sicherheit. Ja, es besteht die Möglichkeit, dass ich mit einem blauen Auge davonkomme." Langfristig allerdings drohten hohe Strafen, ein Gerichtsverfahren, private und berufliche Folgen.
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