Eine erste Zwischenbilanz - 100 Tage Schwarz-Rot in Hessen
"Eine Rückkehr zur Realpolitik" betitelt Hessens CDU-Regierungschef Boris Rhein gerne die von ihm geschmiedete Koalition mit der SPD. Die ist nun 100 Tage im Amt. Damit endet die für neue Regierungen traditionell gewährte "Schonfrist". Zeit also für eine erstes Zwischenzeugnis für Schwarz-Rot in Hessen.
Schon im Koalitionsvertrag ist die Handschrift des großen Partners CDU sehr deutlich zu lesen. Kein Wunder, hat doch die Union bei der Landtagswahl im letzten Oktober weit mehr als doppelt so viele Stimmen (34,6 Prozent) erzielt wie Junior-Partner SPD (15,1 Prozent).
CDU setzt Akzente
Ob Genderverbot, Stopp für Naturschutzgebiete oder eine härtere Gangart in Asylfragen - die CDU hat die stärkeren Akzente in der neuen Landesregierung gesetzt. CDU-Regierungschef Boris Rhein zeigte sich zuversichtlich.
Mehr konservative Themen
Bewusst will sich Ministerpräsident Boris Rhein mit Schwerpunkten wie Innere Sicherheit oder Unterstützung für die "traditionelle Landwirtschaft" auch von den Grünen absetzen, mit denen seine Partei zuvor zehn Jahre in Hessen regiert hatte. Die konservative Klientel soll sich bei der CDU stärker wiederfinden. Dazu dient auch das "Hessengeld" als Zuschuss fürs erste Eigenheim oder der kostenlose Meistertitel.
Nur drei SPD-Minister
Auch bei der Verteilung der Minister-Ämter ist das CDU-Übergewicht mehr als deutlich. Nur Vize-Regierungschef Kaweh Mansoori, der das Wirtschaftsressort führt sowie Heike Hofmann (Arbeit, Jugend, Soziales) sowie Timon Gremmels (Wissenschaft) haben es für die SPD in die Ministerriege geschafft, alle anderen Ressorts sind von Unions-Leuten besetzt.
Rhein jovial, Mansoori blass
Während CDU-Regierungschef Boris Rhein gewohnt jovial-freundlich auftritt und bei Ministerpräsidenten-Gipfeln neben Kanzler Scholz bundesweit beachtete Auftritte hinlegte, bleibt sein SPD-Stellvertreter Kaweh Mansoori bislang eher unauffällig. Der neue starke Mann der Hessen-SPD hat als Minister noch wenig eigene Themen gesetzt. Er suchte auch zunächst lange nach Leuten für seine Kommunikations-Abteilung.
Erste Projekte rollen an
Einige der Minister der neuen Regierung mussten erst ihre Häuser neu zuschneiden, teils wurden Abteilungen und Kompetenzen hin- und hergeschoben. Es dauerte also, bis die neue Regierung so richtig ins Handeln kam. Erst in den letzten Wochen überschlugen sich Pressemitteilungen und Termine. Vermutlich mit Blick auf die 100-Tage-Frist beeilten sich alle Minister, ihre ersten wichtigen Projekte vorzustellen, die die Landesregierung in ein 12-Punkte Sofortprogramm gepackt hat.
Die AfD sieht Licht und Schatten
AfD sieht "Bemühen der CDU"
Die AfD sagt zur 100-Tage-Bilanz der schwarz-roten Regierung, man erkenne "das Bemühen der CDU, vom früheren grünen Koalitionspartner – und damit auch von der eigenen Politik der vergangenen zehn Jahre - abzurücken". Allerdings brauche Hessen "einen grundsätzlichen Politikwechsel", der sei nicht erkennbar.
Was wurde umgesetzt?
Die AfD kritisiert, dass zwei neue Ministerien und vier neue Staatssekretärs-Posten geschaffen wurden. Schwarz-Rot habe viel angekündigt, aber wenig umgesetzt. So sei die "Innenstadtoffensive gegen Kriminalität" von CDU-Innenminister Poseck eher eine "Werbereise in eigener Sache ohne signifikanten Effekt". Auch SPD-Wirtschaftsminister Mansoori habe "mit vielen öffentlichen Auftritten vor allem die eigene Bekanntheit gesteigert".
Lob für das Genderverbot
Positiv sehe man das Gender-Verbot in Behörden und an Schulen. Zu wenig geschehen sei bisher bei der Unterstützung der Kommunen für die Flüchtlings-Aufnahme und -Unterbringung, bemängelt die AfD.
Grüne: "100 Tage Show statt Lösungen"
Regiert die CDU faktisch alleine?
Die Grünen im hessischen Landtag sehen in der neuen Regierung "faktisch eine CDU-Alleinregierung" - der Koalitionspartner SPD trete quasi nicht in Erscheinung. Und statt Lösungen, zum Beipiel für mehr Fachkräfte in der Wirtschaft, für die Grundschulkinder-Betreuung am Nachmittag oder den Klimaschutz, biete die Landesregierung nur "viel Show", so Fraktionschef Mathias Wagner am FFH-Mikrofon.
Umweltminister ohne Klimaschutz-Ambition
Der neue CDU-Umweltminister Jung will nach Überzeugung der Grünen gar kein Umweltminister sein. Er habe keine Initiativen zum Klimaschutz gestartet, sondern im Gegenteil die Ausweisung neuer Naturschutzgebiete gestoppt. In der Sozialpolitik gebe es nun zwei Sozialministerinnen, aber "kein einziges Projekt zum sozialen Zusammenhalt", kritisieren die Grünen.
"Populistischer als Söder und Aiwanger"
Mit ihrem Sofortprogramm "11+1" habe die Landesregierung "nur Show und Politik-Häppchen" vorgelegt, sagt Grünen Fraktionschef Wagner. Beispiel: Genderverbot - das sei populistisch. Selbst die bayerische Landesregierung sei lieberaler, indem sie das Gendern bei Schul-Klausuren nicht als Fehler werte, wie jetzt in Hessen.
"Hessengeld" zu mickrig?
Kein gutes Haar lassen die Grünen auch am "Hessengeld" für die erste eigene Immobilie. Die groß versprochene Finanzhilfe sei viel zu mickrig, kritisieren die Grünen, weil das Geld an Hausbauer oder Wohnungskäufer auf zehn Jahre gestreckt ausgezahlt werde.
Wie sieht die FDP die 100-Tage-Bilanz?
FDP vermisst Schub für Wirtschaft
Die FDP im hessischen Landtag bescheinigt der neuen Landesregierung einen "schwachen Start" - vor allem Wirtschaftsminister Mansoori (SPD) sei "kaum sichtbar" - es fehlten Initiativen zur Stärkung der hessischen Wirtschaft, für mehr Wohnungsbau und zum Abbau von Bürokratie.
Bildungspolitik "aus der Zeit gefallen"
Auch in der Bildungspolitik sieht die FDP nach den ersten 100 Tagen Schwarz-Rot zu wenig Initiative. "Gender-Verbot und Blockflöten-Unterricht wirken wie aus der Zeit gefallen", so die FDP in ihrer ersten Zwischenbilanz. Dass für eine zusätzliche Deutschstunde an der Grundschule Englisch-Unterricht gestrichen werde, sei "in einer globalisierten Welt höchst fragwürdig", so die Freien Demokraten.
SPD kaum sichtbar?
Insgesamt falle die neue Landesregierung durch Populismus auf, die SPD sei "kaum sichtbar" und in den letzten Tagen habe die Regierung lediglich einen "hektischen Aktionismus" an den Tag gelegt, meint die FDP.
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